Die Biennale Arte di Venezia Überwältigend, um nicht zu sagen überfordernd, ist sie, die 59. Biennale. 80 Nationen sind beteiligt und mehr als 200 Künstler:innen wurden von der Kuratorin Cecilia Alemani eingeladen. Cool, dass es mehrheitlich Frauen sind und damit kein grosses Aufheben gemacht wird, ist einfach so. Bei den Länderpavillons in den Giardini gibt es einige grossartige Events – und das aller mäkelnden Kritik zum Trotz, das nationale Ausstellungskonzept sei überholt. Eine persönliche und vielleicht auch zufällige Auswahl: Das erste Pavillon beim Eingang ist das der Schweiz, und die Bespielung von Latifa Echakhch umwerfend. Auf dem Kiesboden stehen riesige Köpfe und Hände gewoben aus schmalen Holzbändern, rhythmisch beleuchtet mit knalligem Orange. Der Däne Uffe Isolotto beeindrucken mit zwei hyperrealistischen Figuren halb Mensch, halb Pferd, tot. Eine magische Installation. Der nordische Glaspavillon gehört erstmals ganz den Sami und zeigt transformierte Objekte ihrer Kultur, ihres Wissens, ihrer Spiritualität. Maria Eichborn hatte die mutige Idee, den ganzen deutschen Pavillon abtragen zu lassen, was ihr nicht erlaubt wurde. So bleibt er nun leer, mit aufgerissenem Boden, sichtbar gemachter Geschichte, Hitler hat den Pavillon vergrössern lassen. Die Amerikanerin Simone Leigh stellt mehrere ihrer beeindruckend gigantischen Frauenfiguren aus – warum der ganze Pavillon kitschig «afrikanisch» mit Stroh gedeckt wurde, blieb für uns rätselhaft. Eine richtig grosse Freude bereitet uns Belgien: Francis Alys zeigt gefilmte «children’s games» aus der ganzen Welt, schön, fröhlich, tröstlich. Polen widmet seinen Pavillon den Roma. Die textilen Grosswerke zur historischen und heutigen Kultur sind in ihrer farbigen Fassbarkeit wunderbar. Die Finnin Pilvi Takala hat undercover in einem Sicherheitsdienst gearbeitet und konnte einen Workshop filmen, bei der über Einsätze reflektiert wurde. Spannend. Unvergesslich Griechenland: Loukia Alavanous virtual reality Film entführt uns mit der Geschichte des alten, blinden Ödipus und Antigone in die sehr prekären Lebenswelten der Roma ausserhalb Athens, genial. Die fröhlichste Kunst aber bieten die Österreicher, indem sie Kunst dekonstruieren, eine wilde Mischung aus Bildern, Skulpturen, Fotos, Text und Fashion zeigen. Viele Länder stellen irgendwo in der Stadt aus, die einen in prunkvollen Palazzi, die andern in bescheidenen Räumen, wie Nepal, das erstmals teilnimmt. Die Mongolei fasziniert mit kunstvoll genähten, silbrig glänzenden Fantasiefiguren, Kirgisien lädt zu einer meditativen Einkehr unter einer angedeuteten Jurtenkuppel ein, Guatemala zeigt mit einem grossen, realistischen Wandgemälde die ganze Diversität der Bevölkerung. Der von Alemani kuratierte Teil im zentralen Pavillon und im Arsenale ist unglaublich vielfältig, aber in dieser Vielfalt nicht ganz überzeugend, manches schien uns zu aufdringlich, zu platt. Dazwischen Meisterwerke, z.B. ein ganzer Raum für Miriam Cahn, die riesigen Tongefässe des Argentiniers San Miguel de Tucuman, oder der Film des Italieners Diego Marcon, in dem er die Tötung seiner Familie und seinen Suizid singt, verstörend. Daneben gibt es unzählige Eventi Collaterali. Zum Beispiel Lena Herzogs immersive Virtual Reality Installation «Last Whispers» zum Thema des Aussterbens von Sprachen. Es ist eine Komposition die Gespräche, Reden und rituelle Gesänge mit schwarz-weiss Zeichnungen der Natur kombiniert, genial. Oder die vielseitig arbeitende Polin Ewa Kuryluk, die filmt, zeichnet und mit feinen Stoffen gestaltet, malt, stickt. Und, und, und – hingehen und sich verzaubern lassen. Und tief durchatmen, wenn man sich durch die Touristenmassen kämpft und eingeklemmt auf dem Vaporetto leidet…